Onkel Hans, Onkel Fritz und der Kientop

Vor, in und eventuell nach dem 1. Weltkrieg hatte Onkel Hans ein Kino in Köpenick, und Onkel Fritz spielte im Stummfilm. Das weiß ich von Onkel Ernst, der im Jahr 1900 geboren ist und deswegen 1915/16 nicht eingezogen war, weshalb er Aufsichtsfunktionen im Köpenicker Kino wahrnehmen konnte. Er erzählte mir, wie er sich merkte, wann wer im Kino Platz genommen hatte. Nach 45 Minuten tippte er dann dem/der Betreffenden auf die Schulter und sagte: "raus oder noch mal zahlen!" - Das daran was wahres ist, entnehme ich dem Brandenburgischen Geschlechterbuch, herausgegeben von Dr. jur. Bernhard Koerner, Ehren-Mitglied des "Deutschen Rolands", Verein für deutsch-völkische Sippenkunde zu Berlin, e.V., bearbeitet in Gemeinschaft mit Kurt Meyerding, Sippenforscher zu Brieselang, erschienen als Band 111 des Deutschen Geschlechterbuchs (Genealogisches Handbuch Bürgerlicher Familien), herausgegeben von Dr. jur. Bernhard Koerner, Reichspräsidialrat, vormals Mitglied des Kgl. Preuß. Heroldsamts, 1941 beim Druck und Verlag von C. A. Starke. Görlitz.

Dort erfahre ich auf S. 373 ff. vom Jüngeren (Glindower) Ast der Kuhlbrodts, daß der Kinobesitzer und der Stummfilmschauspieler einerseits Brüder sind (Hans geb. 1880 in Berlin-Köpenick, Fritz geb. zwei Jahre später in Berlin), andererseits auch echte Vettern meines Vaters Erich Kuhlbrodt, a.o. Professor der Wetterkunde an der Universität zu Hamburg.

Onkel Hans und Onkel Fritz habe ich leider nicht kennengelernt. Onkel Hans starb, so lese ich, 1933 unvermählt als Inhaber eines Lichtspiels. Ich war damals, knapp 1 Jahr alt, zu klein, um mich an ihn zu erinnern. Doch Onkel Fritz lebte dem Geschlechterbuch zufolge noch 1941. Ich habe noch die geheimnisvoll raunende Stimme meiner Tante Ilse ("Illa") im Ohr, der Konzertpianistin, die vor Onkel Fritz warnte: "Ein seltsamer Mensch". Die Silben zerdehnte sie beim Sprechen, irgend etwas, nicht Greifbares, auskostend.

Ich war daher sehr erfreut, als mir ein halbes Jahrhundert später Heide Schlüpmann unter die Arme greifen konnte. Es muß ca. 1990 gewesen sein, als ich einen Lehrauftrag am Institut für Theater-, Medien- und Filmwissenschaft an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität in Frankfurt am Main hatte. Grade war das Buch von Prof.in Schlüpmann erschienen: "Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos". Auf S. 351 wurde das Geheimnis des kuhlbrodtschen Familiendramas gelüftet. Es ist wahr: Onkel Fritz, Mitglied der bürgerlichen Familie, hatte schon in Zeiten, in denen der Film als Jahrmarktsvergnügen abgetan wurde, mitgespielt, und das unter dem Titel "Wie sich der Kientop rächt" (später: "Wie sich das Kino rächt"), gedreht 1912/13. In dem 340 Meter langen Produkt der Eiko-Film GmbH (Berlin) ging es unter der Regie von Gustav Trautschold darum, daß ein sittenstrenger Professor namens Moralski mit Hilfe der Kamera (Hans Saalfrank) der ehelichen Untreue überführt wurde. Scham und Schande über die bürgerliche Moralski-Familie. Kitty Derwall, Käthe Samst, Hanns Kräly und eben auch Fritz Kuhlbrodt, die Darsteller, beschmutzten das eigene Nest. Das blieb zumindest bei Tante Ilse auch dreißig Jahre später unvergessen.

Home