Jürgen Kiontke am 11.2.03 im Kaffee Burger:

Manuskript 11.2.2003

Kiontke:

Kiontke: wir stellen heute das kuhlbrodtbuch vor. der autor ist selbst gekommen, er stand eben noch auf den brettern der volksbühne als islamischer terrorist in schlingensiefs stück atta atta herum. dietrich ist auch filmkritiker, in dem buch geht's auch um filmkritik, bei der filmkritik muss man sich hinterher erinnern was man eben gesehen hat, deswegen ist das auch ein erinnerungsbuch, von dem ich wollte dass es auch so heißt, aber die verlagsleitung hat es anders entschieden. ich schreibe auch filmkritiken, außerdem durfte ich der lektor des buches sein, deswegen sitz ich auch hier. dietrich, guten tag. applaus bitte.

Zu dem buch möchte ich ein paar kurze vorbemerkungen machen, ich habes gelesen und auch verlagsseitiger weise betreut; ich wollte nur kurz skizzieren wies entstanden ist.

Wer ist dietrich kuhlbrodt? diese frage stellt sich der mann auf seiner internetseite selbst. wir erfahren, er ist schauspieler und filmkritiker und als reminiszenz an kritik und schauspiel schlug er zudem die laufbahn des staatsanwalts ein. denn staatsanwalterei hat neben der angeklagtenkritik laut seiner eigenen aussage viel mit schauspiel zu tun, und er scheint erfolgreich gewesen zu sein. ,die rechtsanwälte und richter bescheinigten mir des öfteren eine passable leistung,, sagt kuhlbrodt - ,ungeachtet der tatsache, dass da in der regel schon alles hinter den kulissen abgekaspert wird.,

da die kuhlbrodt-familie sie etwas wie eine talentschmiede zu sein scheint, kommt das professionelle gebaren in der öffentlichkeit nicht von ungefähr: großvater war schauspieler, bruder ist es auch. so ist nur logische folge, was Dietrich Kuhlbrodts Ehefrau Brigitte Kausch, selbst Schauspielerin und Malerin, so zusammenfasst: Der Didi ist doch hemmungslos kamerageil. Geil auf Kamera und ihr Umfeld war ich nicht unbedingt, als ich mir die eingangsfrage, wer kuhlbrodt ist, stellte: Der Anlass war viel banaler. 1995 begann ich meine Karriere als Redakteur der tageszeitung junge welt und ich und meine kollegen Stefan Ripplinger und Heike Runge waren nach einigen redakteursabwanderungen und einer passablen poleite des betriebs gezwungen, die wichtigsten kulturbereiche im rahmen des ressorts feuilleton zu ordnen. Heike zogs zur Literatur, Stefan zum politischen Buch und der Gesamtverantwortung und mich zu bildender Kunst, Popmusik und Filmkritik. Jeden Donnerstag hatte ich fortan eine Doppelseite zum Thema aktuelles Kino zu liefern. Da stand ich dann da mit leeren Taschen repsektive leerer Autorenkartei - nun war es an mir, was aufzubauen aus Mitteln in Höhe von 65 Pfennig pro Zeile und sonst auch wenig mehr, als dem Ruhm einem wahrhaft linken Projekt zu dienen. Ich wühlte also in den Telefonnummern Stefans herum, der den Job ja immerhin schon ein Jahr machte, wohlweislich, dass da vielleicht was zu finden sein könnte, mehr jedenfalls, als ich Ahnung von der scheiß filmkritik hatte - kino fand ich nämlich irgendwie langweilig, wenn es nicht, wie zu meiner schul und studentenzeit fleißigst eingeübt, dazu dienen konnte, mit einer frau, hinter der ich her war, zwei stunden im dunkeln zu sitzen, hinterher mit ihr einen saufen zu gehen und mit ihr auf der matratze zu landen. wobei dies wahrscheinlich nicht die schlechteste umgangsweise mit dieser kulturtechnik ist; aber jetzt stellten sich doch gewaltige andere aufgaben und stefan, der ressortleiter, hätte es nicht unbedingt gut gefunden, wenn derlei stoff jede woche abgedruckt worden wäre.

In stefans kontakten fand sich auch derjenige von Kuhlbrodt; stefan war autor der zeitschrift konkret, und da hatte ich doch immerhin mal sachen des filmkritikers kuhlbrodt gelesen - ichbezogen, reportagehaft, ankedotenreich. kann ich den fragen? fragte ich mich. der hat das doch bestimmt nicht nötig. ich überwnad meinen respekt vor respektpersonen und rief ihn an. er zeigte sich spontan bereit, mir unter die arme zu greifen. und wie sich bald herausstellte, hatte seine beamtentätigkeit auf mich die besten auswirkungen. im gegensatz zu diesen filmkritik-hippies, die bei uns sonst so schrieben, hielt der den redaktionsschluss penibel ein. meist kamen die texte vier wochen im voraus, und zwar auf diskette (email hatten wir noch nicht).

bald war ich, obwohl nur germanistikabsolvent, eingearbeitet. dietrich und mich einten filmkritikerseits vorlieben für actionfilme, drastische sprache, abrupte wendungen und der hass auf das pesudopsychologische geschwafel von den gägnigen filmkritik-ikonen a la sabine horst oder elisabeth bronfen, die in zeitungen wie der frankfurter rundschau schreiben, wo übrigens auch kuhlbrodt schreibt, und dann da seltsamerweise genau den selben kram wie die beiden kulturprofessorinnen - meidum ist alles). alsbald putschten wir uns gegenseitig hoch. dietrich, sagte ich, du gehst mir in den neuen jackie chan film, und dann will ich den abgedrehtesten text zu diesem film, der in der deutschen presselandschaft erscheint, von dir haben. das ergebnis ließ kaum zu wüpnschen übrig. am tag seines erscheinens freute ich mich nicht nur ob dieser hammermäßigen besprechung, die jackie zwar nie lesen wird, aber den 21 year old praktikant markus bickel in der frühbesprechung fassungslos sagen ließ= :

ehrlich gesagt, ich hab kein wort davon verstanden.

wir ließen uns aber kaum beeindrucken. wir sind links und radikal und dass auch in der sprache und allem anderen auch. der nächste coup: dietrich wurde honorarprofessor in bremen, wo er alsbald feststellte: du, honorar heißt hier nicht, dass man kohle kriegt, sondern dass man ehrenhalber arbeitet - so ein scheiß.

mit dem ihm anvertrauten studenten machte er auf wilde sau, alsbald kamen gerüchte, er schlage dort purzelbäume und lehre: vergesst nie, dass ihr es seid, die diesen film sehen - also vergesst nie eure anteilig wichtige rolle des rezipienten bei der konstruktion des gesamtwerks (ich blieb davon auch nicht unberührt).

eines der ergebnisse, den text des jungen studenten florian scheibe, möchte ich später vorttragen, er ist wahrlich stilbildend, er landete bei mir und wir druckten ihn umgehend. kuhlbrodt war begeistert. dass mit dem honorar war dann allerdings jahre später wieder ein thema: kuhlbrodt wurde parteiführer der chance 2000 und in der funktion hatte zwar nicht er urnd 100000 mark in den sand gesetzt, sondern christoph schlingensief, aber alle papiere unterschrieben, die hatte der ältere mann hier. eines tages stand er in meiner wohnung, total außer puste riß er sich die oberkleidung vom körper, und war schwer verwirrt: man habe ihm das amt des fernsehrichters angeboten, und da ich mittlerweile auch beim fernsehen gewesen war, allerdings als praktikant der vroni feldbusch, und gelernt hatte, dass 50 % der arbeit beim fernsehen aus verträge abschließen besteht, möge ich ihm beistehen. man biete ihm 500 Mark Tagessatz an, er müsse aber nach köln umziehen und auch noch die fälle recherchieren. lass den scheiß, kommentierte ich. und zum glück hat sich das mit den 100000 kröten irgendwie aufgelöst. diese episode zeigt, wie freigebig der mensch mit seinen ressourcen zeigte; und das war nicht nur geld, sondern neben filmkritiken auch seine staatsanwaltsrobe, die er der junge welt-leserwerbeaktion ,ich geb mein letztes hemd, zur verfügung stellte. oh gott, ich habe heute noch ein schlechtes gewissen, denn kurz drauf schmiss uns geschäftsführer koschmieder in hohem bogen raus, denn wie er sagte: ein sozialistischer betrieb im kapitalismus muss kapitalistischer geführt werden als ein kapitalistischer. ja, leck mich doch mit deinem scheißsozialismus. jedenfalls: die frage: wer ist dietrich kuhlbrodt? war mir danach beantwortet: Performer vor dem herren mit häuschen in blankenese, dass war dann die nächste erkenntnis. zwei monate überließ er mir seine hütte, um mein vroni-praktikum zu absolvieren, mein nacvhbar hieß stefan aust, von dem dietrich sagt: ich finde es wahnsinn, wenn dieser spiegelchefredakteur sonntag morgens mit reiterstiefeln aus der haustür tritt - ein echter herrenmensch.

wie komme ich von stefan aust nun zu dem erinnerungsbuch, das hier vorgestellt wird, schaffe ich jetzt die wende von der anekdotenähnlichen ankumpelei zum heutigen abend?

vor rund zwei jahren habe ich begonnen, für den verbrecherverlag aktiv zu werden. Jürgen, sagte Jörg Sundermeier, einer meiner früheren junge welt autoren, mittlerweile ein viel gefragter zeitungsfeuilletonist, und inhaber des verbrecherverlags und organisator ver verbrecherversammlungen, jürgen wir haben schon so oft von dir abgeschrieben, da ist es gerecht, dass wir auch ein buch mit dir machen. als produzent eher kurzer literarischer formen fühlte ich mich hoffnungslos überfordert. heraus kam dann aber eine verbrecherversammlung mit mir in der hauptrolle, und die kam gar nicht schlecht an. so war der kontakt zum verlag schon mal da. nach der jungen welt hatte ich meine arbeitsbiografie um einige üble kapitel - freier filmkritiker, goldenes blatt/bildzeitungsautor, internetredakteur, chefredi einer gewerkschaftszeitung (in der ich, logisch, dietrich schreiben ließ= und auch mal ein gemälde von ihm anforderte, dass den referentenentwurf zu einer reform des betriebsverfassungsgesetzes zu malen - ich erhielt einen geworfenen referenten) und dergleichen mehr - erweitert, so gabs alle drei monate dienstags im kaffee burger was neues zu erzählen. irgendwann trafen wir jörg und ich uns zu einer planungssitzung, die sehr konstruktiv war, von der aber infolge starken genußmittelkonsums genau ein projekt übrig blieb, und ich kann mich auch nur noch an diesen einen satz, den ich jörg an den kopf brüllte, erinnern: und dann hauen wir die memoiren von dietrich kuhlbrodt raus! ich schlug mich als lektor vor, denn dietrich und ich arbeiteten ja schon jahre so zusammen - er autor, ich redakteur -, im hinterkopf hatte ich natürlich den verdienten ruhm des autors kuhlbrodt (siehe honorar) für diesen im kopf und für mich den ersehnten ferrari, den ich von den verbrechern hoffentlich dafür vor die tür gestellt bekommen sollte, wie das einst der suhrkamp-verlag mit seinem autor hermann burger gemacht hatte (der kurze zeit später selbstmord beging). ich hätte es natürlich besser als hermann burger gemacht. für dietrich, mich und die verbrecher sollte also die bedeutung des wortes ,honorar, nicht mehr nur die ehrenhalbere konnotation haben, wir wollten richtig absahnen. dietrich auch, aber plötzlich überkam ihn die berechtigte eitelkeit des künstlers: das erste mal überzog er die abgabe eines manuskripts - und dann gleich um drei monate. dann aber schickte die 10.000e zeichenpakete im tagestakt. an der endkorrektur zeigte er hingegen weniger interesse: die verbrecher wandten alle mühe auf, ihn von dem plan abzubringen, auf jeder zweiten seite ein bild von kuhlbrodt zu drucken - zu teuer beschieden sie ihm. wenn ich das so weit richtig erinnere.

nun: im kuhlbrodtbuch geht es ja um erinnerung. der hamburger psychiater karl heinz roth wird dort zitiert, und der sagt: man kann sich nur an dinge erinnern, die in den letzten sieben jahren statt gefunden haben. wenn man sich vermeintlich an älteres erinnert: dann erinnert man nur erinnerungen aus den letzten sieben jahren. nun, wenn das mal stimmt: meine erinnerung währte schlichtweg nicht mal ein jahr und es ist verdienst der verbrecherverleger mich darauf aufmerksam gemacht zu haben. als ich meine rechnung für das dreiwöchige knackeharte lektorat der 500000 Zeichen kuhlbrodterinnerungen vorlegte, monierte verbrecher werner labisch, eh, wir hattren 500 mark nicht 500 euro ausgemacht. worauf ich im andenken an burgers ferrari und leicht pikiert eine rechnung schickte, die die summe 500000 euro enthielt. die bekam ich dann leicht korrigiert zurück: 253 euro und ein paar zerquetschte waren da noch übrig. nix mit ferrari. aber manche traf es noch viel härter, zum beispiel den armen autor, dem ich das erzählte. wie, was, du hast geld bekommen dafür? Und ich? während ich mir also immerhin vielleicht den ferrari-zigarettenanzünder leisten kann, bleibt für dietrich nur die erinnerung daran, was für ihn schon immer das wörtchen honorar wie in honorarprofessor bedeutete: nix in der tasche, aber die silberne ehrennadel. und das privileg, vor publikum die molly machen zu können. das war nun die enstehungsgeschichte des kuhlbrodtbuches, geschrieben hat es der autor, und mein anteil ist gering, erteilen wir ihm das wort.

(so hier bist du dran!!!)

Kuhlbrodt:

und dann:

hier müssen wir den anschluss finden, stichwort ,erinnerungsarbeit,.

Kiontke:

was also ist erinnerungsarbeit im film, im kino und anderswo? ich möchte hier jetzt doch mal den studententext von florian scheibe bringen, um dem publikum eine vorstellung von kuhlbrodts filmkritikkunst zu geben, und auch davon, was er uns armen schweinen an faxen ins gehirn implantiert haben muss.

(es folgt der scheibe text)

und dann finden wir einen übergang zu dir zurück. ich quatsch auch dazwischen oder stell fragen, in jedem fall bring ich fünf packungen was zu essen fürs publikum mit. letztes mal gabs schokoküsse. und irgendwann ist dann schluss und wir singen das einheitsfrontlied oder whatever.

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natürlich muss das alles nicht so statisch sein, nur so als vorbereitung.

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