Die Gnade der rechtzeitigen Geburt.
Dietrich Kuhlbrodt ist die schillerndste Figur im Untergrund

„Liegt’s an mir, dem Sauertopf?“, fragt sich Dietrich Kuhlbrodt in der jüngsten Ausgabe des Berliner Stadtmagazins „tip“. Der ehemalige Staatsanwalt und nunmehrige hauptberufliche Zeitgenosse des deutschen Films fand in Dani Levys Komödie „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ nichts zu lachen. Er sah „ein paar Knallchargen, die Goebbels, Speer, Himmler verulken“, daneben aber vor allem eine „Tiefenanalyse“ von Adolf Hitler, die sich so weit in den Vordergrund drängt, daß Kuhlbrodts Fazit lautet: „Wir sind in einem Problemfilm.“

Wie kommt es aber überhaupt dazu, daß man ihn in dieser Angelegenheit konsultiert? Darauf gibt es zwei Antworten. Die eine ist, daß Dietrich Kuhlbrodt im vergangenen Jahr ein Buch veröffentlicht hat („Deutsches Filmwunder. Nazis immer besser“, Konkret Literatur Verlag), das in einen historischen Kontext setzt, worauf sich der neuere Boom des Nationalsozialismus im Kino so gründet; was in dieser Untersuchung an wissenschaftlicher Ausführlichkeit fehlt, macht der Autor (und dies ist der zweite Grund) durch Autobiographie wett. Kuhlbrodt war (Gnade der rechtzeitigen Geburt) immer schon da, wo die Filmemacher jetzt wieder hinwollen. Er war in der Hitlerjugend, er überlebte den Untergang, er verklagte die Menschheitsverbrecher (nicht als Privatmann, sondern als Staatsbediensteter), und er ging in all den langen Jahren nicht nur ins Kino, er spielte auch selber immer wieder darin mit, woraus sich der dritte Grund ergab, dessentwegen er in diesen Tagen gelegentlich zu „Mein Führer“ gefragt wird: In Christoph Schlingensiefs „Menu total“ spielte Kuhlbrodt 1986 einen Ekel in Uniform, der stark nach SS aussah, auch wenn die Vergangenheit vor allem als Obsession und Phantasma in dieses Familiendrama hineinragte. Eine weitere Hauptrolle in „Menu total“ spielte Helge Schneider, der nun in „Mein Führer“ dem Ifflandringträger Bruno Ganz den Rang in der Hierarchie der Hitler-Darsteller abzulaufen droht. Bei Schlingensief spielte Helge Schneider einen kleinen Jungen, der zumeist „Mama!“ schreit, zwischendurch aber vom Fenster herunter manchmal den Hitler (oder doch den Chaplin?) macht.

„Mein Führer“ von Dani Levy hat also einen Schattenfilm im westdeutschen Underground, und Dietrich Kuhlbrodt erhebt sich gelegentlich daraus, um dem deutschen Film die Meinung zu sagen. Es empfiehlt sich, parallel zu dem Nazi-Buch seine Lebenserinnerungen, erschienen unter dem Titel „ Das Kuhlbrodtbuch“ (Verbrecherverlag, 2002) zu lesen, denn daraus erhellt erst so richtig, wo manche Meinungen ihren Sitz im Leben haben.

„1965, im November, stieg ich mit ziemlich viel Gepäck auf dem Bhf. Ludwigsburg aus, in der Stadt des blühenden Barock. Ich trat dort meinen Dienst im Frauengefängnis, Schorndorfer Straße 28, an. Der Taxifahrer, ein alter Herr, sagte mir auf den Kopf zu: Sie wollen zur Zentralen Stelle, meine Kameraden verfolgen. Ich gestand. Er fuhr mich trotzdem, schweigend. Die Stimmung war gespannt. In der ganzen Stadt, ich sollte das schnell merken.“

Die Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen war von den Ländern eingerichtet worden, um die Staatsanwaltschaften zu entlasten und Großverfahren vorzubereiten. Die Ablehnung, mit der das Vorgehen dieser Stelle im Land vielfach begrüßt wurde, ging auf eine Unterscheidung zurück, die Kuhlbrodt auch im deutschen Nachkriegskino ausfindig macht: dem bösen Nazi steht der gute Deutsche gegenüber, häufig als Befehlsempfänger in einer Wehrmacht, in der es keine Antifaschisten gab, „weil dort nicht politisiert, sondern Leistung erbracht wurde“.

Was für die Soldaten und Einsatzkräfte gelten sollte, mußte für die Künstler nur billig sein. Der Freispruch von Veit Harlan vom dem Vorwurf der aktiven nationalsozialistischen Betätigung (mit einem Film wie „Jud Süß“) ist auch für Kuhlbrodt ein einschneidendes Ereignis, zu dem er aber eine neuere filmhistorische Faszinationsgeschichte für den „deutschnationalen Dramatiker mit sicherem Gespür für mythische Geschichten und viel Sinn für emotionale Effekte“ (Norbert Grob über Veit Harlan) hinzurechnet. Ähnlich ungnädig wie mit Harlan verfährt Kuhlbrodt mit Heinz Rühmann, den er einen „nützlichen Idioten“ nennt.

Dabei spielt er keineswegs den autoritären Aufklärer, er weiß – auch mit Klaus Theweleit – um die Bedeutung des Unbewußten, das zumal im Kino stärker mitkommuniziert als die Vernunft. Die „feuchte Ecke“ im Seelenhaushalt wußte das nationalsozialistische Kino, das von den Ufa-Filmen seinen Teil gelernt hatte, durchaus zu bedienen. Die intellektuelle Linie der kinematographischen Geschichtspolitik und ihre Konzentration auf die Person Hitler führt bei Kuhlbrodt direkt auf „Der Untergang“ zu: Die Hitler-Konstruktionen von Hans-Jürgen Syberberg und Joachim Fest (der „Gründer des modernen Hitlerkults“) bereiteten die Heimholung des Führers in den deutschen Emotionshaushalt vor.

Aber auch dazu gibt es einen Schattenfilm im Underground: „100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“ von Christoph Schlingensief wurde schon 1989 gedreht, und wenn Dietrich Kuhlbrodt darin ebenfalls eine Rolle hatte, dann mag das seiner physiognomischen Verwechselbarkeit mit dem Typus „böser Nazi“ geschuldet sein. Nur für die Rolle des Führers ist er gänzlich ungeeignet.

Erschienen 4.1.2007 in der FAZ S. 33 von Bert Rebhandl.

Der letzte Satz

„Fragen nach Lieblingsfilmen hab ich noch nie beantwortet. Geht nicht. Keine Kriterien vorhanden.“

Dietrich Kuhlbrodt in seiner Selbstdarstellung auf filmzentrale.com.

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